Betrachtungen, angeregt durch Walter Benjamins Schrift

``Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit''

von Robert Gehring

Im Jahre 1936 erschien eine Schrift mit dem auf den ersten Blick befremdlich anmutenden Titel ``Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit''. Autor der Schrift: Walter Benjamin. Inhalt: Schwierig zu beschreiben, was eigentlich darin steht. Es geht um Kunst und deren Wahrnehmung; um die mediale Funktion der Kunst; um Sinneswandel; um mehr. Es ist eines von jenen Stücken wissenschaftlicher Literatur, die immer neu gelesen und verstanden werden wollen. Das heißt: 1936 war es anders zu interpretieren als 1996. Aber zu beiden Zeiten war es interpretierbar und nicht bloß noch für Historiker von Interesse. Kurz gesagt, ist es eine aktuelle Schrift[1].

Vor über 60 Jahren geschrieben, finden sich darin Ideen, die erst jetzt - im Zeitalter des Internet - verständlich zu werden scheinen. Es fällt schwer zu sagen, daß Walter Benjamin das Internet bereits antizipiert hätte. Dem ist wohl nicht so. Allerdings hat er gespürt[2] und erkannt, daß technische Medien [3] ihre Inhalte grundsätzlich verändern, insofern die Inhalte einen Charakter haben, der primär nichttechnischen Ursprungs ist. Auch bringen sie neue, eigenständige Inhalte hervor, die von ihrer Natur aus auf einen technischen Gebrauch hin gestaltet sind [4]. Ihre Gestalt ist eine technische, der Umgang mit ihnen ein technischer und ihre Existenz ohne die Technik nicht denkbar. Mit Nietzsche könnte man von neuen, technischen, insbesondere elektronischen Medien sagen, daß sie eine ``Umwertung aller ihrer Werte'' erzwingen.

Walter Benjamin geht vom Kunstwerk aus. Nun läßt sich ein Kunstwerk allgemeiner als Werk verstehen, d.h. als Gegenstand menschlichen Handelns. Die Besonderheit des Kunstwerkes gegenüber dem Werk, das nicht Kunst ist, könnte vielleicht darin gesehen werden, daß ein Kunstwerk nicht notwendig einem Zweck dienen muß, während wir von Gebrauchsgegenständen eine Zweckdienlichkeit sehr wohl erwarten. Bei der Frage nach dem Sinn kehrt sich das Verhältnis oft um.

Beide Kategorien ähneln sich darin, daß die ihnen zugehörigen Werke der menschlichen Rezeption unterworfen sind. Dies ist zuerst die Rezeption des Schöpfers, danach ggf. die des Adressaten. Im Prozeß und im Resultat dieser Rezeption bildet sich ein Verhältnis des Rezipienten zum Werk heraus. Bei einem Kunstwerk kann dies Genuß oder Ablehnung sein, bei einem Gebrauchswerk (Ich möchte diesen Begriff in Analogie zum `Kunstwerk' wählen.) wird es in der Regel der Einsatz oder der Nichteinsatz des Werkes sein.

Einen ganz wesentlichen Unterschied zwischen Kunstwerk und Gebrauchswerk sieht Benjamin in der Einzigartigkeit eines Kunstwerkes.

Ein Kunstwerk ist echt, wenn es einmalig ist. Ist es einmalig, so befindet es sich zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort und nicht gleichzeitig irgendwo anders. Diese Einmaligkeit eines Kunstwerkes ist jedoch nur gegeben, wenn es seiner Natur nach nicht reproduzierbar ist. Diese Echtheit läßt sich nachweisen. Imitate, Fälschungen, Reproduktionen lassen sich - ggf. mit hohem Aufwand - feststellen. All' dies läßt sich nicht nur von Kunstwerken, sondern vielmehr von allen Werken mit originärer Natur feststellen. Von einer Geburtsurkunde gibt es ebenso nur ein Original wie von Dürers Bild der Mutter. Erst wenn ein Werk so geschaffen wird, daß es reproduzierbar sein soll, wenn es also zum Gegenstand einer technischen Produktion, zum Produkt gerät, wird der Anspruch auf Echtheit im Sinne eines Originals aufgegeben. Zurück bleiben -vielleicht- eine originäre Idee und ein Werk im Zustand der Verfügbarkeit. Das trifft für beide, Kunstwerke und Gebrauchswerke, zu. Im ``Zeitalter der Reproduzierbarkeit'' wird von den Ideen dann verlangt, daß sie zu reproduzierbaren Werken führen oder selbst reproduzierbar sind. Ansonsten sind sie unproduktiv. In diesem Sinne wundert es nicht, wenn Handlungen zu Produkten werden. Dienstleistungen sind Produkte, kann man den Werbeprospekten der Banken und Versicherungen entnehmen. Wir leben in einer Dienstleistungsgesellschaft , in der alle Handlungen zu Produkten gerinnen. Diejenigen Handlungen, die sich dem widersetzen, werden zum Problem. [5]

Produkte sind reproduzierbar. Handlungen, die Produkte sind, sind reproduzierbar. Sie können überall, zu jeder beliebigen Zeit, vollbracht werden. Sie können eben auch jederzeit an jeden Ort gebracht werden. Dafür kennen wir das Wort von der Globalisierung.

Wie die Produktion sich allerorten ansiedeln kann, können die Produkte durch ihre Verfügbarkeit alle Kulturen durchdringen. Mit der elektronischen Reproduzierbarkeit des Wissens, der die mechanische Reproduzierbarkeit vorausgegangen war, der Buchdruck, gelangen fast alle Kulturen in den Einflußbereich fast aller Ideen. Dies um so mehr, je besser sich das jeweilige Wissen und die Ideen elektronisch repräsentieren, sprich reproduzieren lassen. Es kann daher kein Zufall sein, daß in einer Welt, in der die Computer höchstens 256 Zeichen, bevorzugt das englische Alphabet, darstellen, chinesische Texte exotisch, englische dagegen normal sind. Die Anzahl der Chinesen ist jedoch deutlich größer als die Anzahl der Engländer, Amerikaner und Australier zusammen.

Die ungleiche Widerspiegelung von reproduktionsgeeigneten Ideen und solchen, die sich sperren, führt in der Folge zu einer gesteuerten Wahrnehmung. Der Wahrnehmungsapparat wird durch die Anzahl und die Intensität der Wahrnehmungen geprägt, haben Neurobiologie und Neurophysiologie belegt. So entstehen wiederum Präferenzen, welche die Aufmerksamkeit in die Richtung lenken, wo sie Bestätigung finden. Bedürfnisse nach einer spezifischen Art der Wahrnehmung bilden sich heraus.

`Unproduktive' Ideen sind immer seltener sichtbar als solche mit produktiven Ergebnissen. In der Folge werden sie nicht mehr `gern' gesehen. Ideen, an denen nur wenige teilhaben können, fallen mehr und mehr aus dem gesellschaftlichen Blickfeld heraus.[6]

Dagegen rücken solche Ideen stärker in den Mittelpunkt, die in ihrem Wesensgehalt geeignet sind, in vielen Medien dargestellt zu werden. Sie dürfen dazu weder an spezielle Formen noch an spezielle Inhalte gebunden sein. Auch müssen sie von Mediendarstellung zu Mediendarstellung leicht assoziierbar sein. Es fördert ihre Akzeptanz, wenn sie die Beziehungen der Menschen, die das jeweilige Medium verbindet, nicht in Frage stellen.

Mit der Ausbreitung der Medien auf Bereiche, die bisher ohne Medium auskamen, breiten sich Ideen aus, die nicht ohne Medien auskommen. Verdrängt werden Ideen, die nur ohne Medium nachvollziehbar sind.

Ideen sind jedoch die Voraussetzungen zum -bewußten- Handeln. Erfahrungen sind die Folgen der Wahrnehmung des -bewußten- Handelns.

Handeln in technischen Zusammenhängen führt zu technikabhängigen Erfahrungen. Zur Beherrschung der Technik ist ein technisches Verständnis unabdingbare Voraussetzung. In diesem Sinne stimulieren die Erfahrungen die mentalen Voraussetzungen. Die Perspektive der Wahrnehmung verschiebt sich immer stärker hin zu einer technischen. Bestätigung für die Erfahrung findet sich dann am ehesten in neuerlicher Betätigung im technischen Umfeld.

Nun weisen nicht alle Handlungen die gleichen Qualitäten auf. Grundsätzlich lassen sich schöpferische und konsumierende Handlungen unterscheiden. Stehen diese nicht in direkter Folge, so bedürfen sie eines vermittelnden Mediums, das aufgrund seiner gegebenen Beschränkungen auch als eine Art `Filter' wirksam wird. [8] In der vermittelnden und der Filterwirkung begründet, liegt die zunehmende Distanzierung der konsumtiven von den kreativen Handlungen. Dies gilt in der Regel sowohl räumlich als auch zeitlich. Eine solche Distanzierung führt zwangsläufig zu einem Bewußtseinswandel. Anders könnte man sagen, daß ein Traditionsverlust eintritt.

Walter Benjamin spricht auf dem Gebiet der Kunst von einer ``Säkularisierung der Kunst'', bei der die ``Authentizität'' an die Stelle des ``Kultwertes'' trete. Übertragen würde ich folgende Aussage machen:

Mit der zunehmenden Säkularisierung menschlichen Handelns tritt die Authentizität an die Stelle der Intention und Konsequenz.

Wie ist das gemeint? Wurden die menschlichen Handlungen bisher in der Hauptsache nach ihrer Zweckmäßigkeit oder ihrer Sinnfälligkeit beurteilt, erhalten sie zunehmend Wert dadurch, daß sie verrichtet und die Verrichtung festgehalten wird, um vermittelt zu werden [9]. Ob sie zu dem intendierten Ergebnis führen, d.h. zweckmäßig sind, bzw. ob sie eine intendierte Aussage repräsentieren, d.h. sinnvoll sind, tritt demgegenüber in den Hintergrund. Wichtig wird immer mehr, daß eine Handlung vorgenommen wurde und von wem. Die Einmaligkeit und Bedeutung einer Handlung werden immer stärker an der Person des Verrichtenden und an den Umständen der Verrichtung und nicht mehr an ihren Ergebnissen festgemacht.

Lassen sich diese Aussagen belegen? Detaillierte empirische Untersuchungen kann ich nicht anführen. Einige Ereignisse sprechen jedoch für diese These. Da wäre zum einen die Ausweitung der Wirkungen des Urheberrechts und des Patentrechts in einem Sinne, der den Zielsetzungen ihrer Schöpfer zuwiderlaufen. So wurde im Zuge der Rechtsvereinheitlichung in der EU die Forderung nach einer besonderen Qualität eines Werkes als Voraussetzung zur Urheberrechtsfähigkeit aus dem Urheberrecht entfernt. Wie, um den Wandel zu unterstreichen, wurde eine Forderung eingeführt, daß eine Beurteilung nicht nach z.B. ästhetischen Kriterien vorzunehmen ist. Auch werden bloße Ansammlungen vom neuen Urheberrecht geschützt. Prognose: Bald ist jede Handlung vom Urheberrecht geschützt, so banal sie auch sein möge.

Ich will einige konkrete Beispiele anführen.
 

In Benjamins Sinne mache ich den Begriff der `Säkularisierung' an der Loslösung aus dem konkreten Bedeutungszusammenhang mit dem Ziel und Resultat der Reproduzierbarkeit fest. Unter `Authentizität' verstehe ich hier die Zuordnungsbarkeit (Zuordnung) von Handlungen zu Handelnden unter weitgehender Vernachlässigung der Hintergründe und Konsequenzen der Handlung. Daraus folgt die Aufwertung einer Handlung, die reproduzierbar ist (gegenüber ihren Folgen und ggü. einer Handlung, die nicht reproduzierbar ist), denn eine solche kann beliebig oft vermarktet werden. Die Frage nach der Echtheit, die sich bei einem Kunstwerk noch stellt, tritt dagegen völlig in den Hintergrund.

In Fußnote 12 zitiert Benjamin Brecht: Gleiches gilt für jegliches Werk. Deutlich wird es jedoch insbesondere beim Kunstwerk und bei der alltäglichen Handlung, die jedem vertraut ist.

Die Frage, die im Raum stehen bleibt, ist die nach den Schlußfolgerungen und nach den Konsequenzen. Darüber haben sich schon viele Gedanken gemacht.

Walter Benjamin sah es so:

Millionen privater Homepages im Internet scheinen ihm Recht zu geben. Dutzende Talkshows ebenfalls.

Fußnoten

[1] Walter Benjamin verwendet z.B. ein Wort, das in den letzten Jahren in der Sprache und im Denken einen herausgehobenen Platz gefunden hat: virtuell. so Walter Benjamin. Ohne explizit von virtueller Realität zu sprechen, meint er doch eine solche. Ist etwas virtuell verborgen, so ist es auch virtuell real. Heute kehrt sich das Verhältnis an vielen Stellen um: Es wird von virtueller Realität gesprochen, wo sie doch gar nicht gemeint ist.

Man kann an dieser Stelle auch auf den Unterschied zwischen Realität, das vom lateinischen res = Ding abstammt, und Wirklichkeit , in dem das Wirken steckt, hinweisen.


[2] Es gibt mindestens noch drei Personen, die ein ähnliches Gespür bewiesen haben: Bertolt Brecht mit seiner Radiotheorie, die vor Benjamins Arbeit entstanden ist, und Marshall McLuhan, dessen ``Understanding Media'' in den 60'er Jahren verfaßt wurde. Der Dritte war Andy Warhol, ebenfalls in den 60'er Jahren, der die Entwicklung der Kunst als eine hin zur (Er)lebbarkeit erfaßte.


[3] Abzugrenzen, was ein Medium ist und was nicht, gelingt nicht ohne weiteres. Geht man vom Wort aus -Medium-, so bedeutet dieses `Mittler'. Als solches vermittelt es etwas , auf eine bestimmte Art und Weise, zwischen Personen. Man könnte sagen, ein Medium setzt die Beteiligten (WER) in spezifischer Form (WIE) vermittels seines Inhaltes (WAS) zueinander in Beziehung. Das Medium kann dabei den Inhalt, die Form oder die Beziehung präferieren, nicht jedoch auf einen dieser Aspekte verzichten. Man sollte nicht versuchen, ein Medium an und für sich zu verstehen. Vielmehr kommt es darauf an, etwas als Medium zu verstehen.

Im konkreten Medium drückt sich eine Präferenz aus. [Man denke hier zum Beispiel an den Begriff Massenmedium.] Ein Medium kann seine Qualität ändern, indem es seine Präferenz ändert. Trotz aller möglichen Präferenz läßt es sich aber nur als Einheit verstehen. Man sollte nicht den Fehler machen, das eine mit dem anderen gleichzusetzen. Da ein Bild manchmal mehr sagt als viele Worte, habe ich mich bemüht, dieses Modell anschaulich zu machen:

 

Zieht man jetzt noch in Betracht, daß ein Medium Phänomen der menschlichen Wirklichkeit ist, könnte man noch mit Kant das Verhältnis zu Raum und Zeit den Eigenschaften eines Mediums zurechnen. Dabei fällt auf, daß sich der Mensch (das Bewußtsein) von diesen beiden ``Principien der Erkenntniß a priori'' [*] mittels Medium zu distanzieren (emanzipieren) sucht.

Bleiben wir beim Beispiel Massenmedium. Damit ein Medium Massenmedium sein kann, muß es in gewisser Weise Grenzen von Raum und Zeit überwinden. Hierbei ist nicht gemeint, die Naturgesetze außer Kraft zu setzen, sondern vielmehr Grenzen im Bewußtsein zu überwinden. Die Teilnehmer an einem Massenmedium suchen das Gefühl der Gleichzeitigkeit, das ihnen, die sie sich über große Entfernungen, vielleicht sogar die ganze Welt verteilt befinden, das Gefühl der Verbundenheit, des Miteinanders vermittelt. So wird die räumliche Grenze, die physisch praktisch unüberwindbar ist, medial überwunden:

Ein Medium ist Massenmedium, wenn eine genügend große Anzahl Beteiligter überall und gleichzeitig teilhaben können.

Sucht man nach Beispielen in der Gegenwartskultur, so stößt man sofort auf das Prinzessin-Diana-Phänomen und die Sportweltmeisterschaften. Bei diesen könnte man schon von Globalisierung des Erlebens sprechen. Offensichtlich werden die Beziehungen präferiert: Zuschauer, Akteur, Fan, Sieger, ...

Ein anderes Beispiel geben die Newsgroups des Internet ab. Dort wird der Inhalt präferiert. Dies drückt sich in der spartanischen Ausstattung der notwendigen Software und den Umgangsformen aus. Um wertvolle Bandbreite für inhaltliche und nicht für formale Zwecke einsetzen zu können, wurde z.T. eine eigene, komprimierte Sprache entwickelt. `CU' und `ROTFL' sind Ausdrücke derselben.

Akzeptiert man das vorgestellte -kurz angerissene- Modell für Medien, so könnte man zur Betrachtung technischer Medien übergehen. Haben diese besondere Qualitäten gegenüber nichttechnischen Medien aufzuweisen? Evident ist sicherlich, daß für sie Raum und Zeit eine geringe Rolle spielen. [Anmerkung: WWW wird zwar oft sarkastisch mit World Wide Wait übersetzt. Das ändert aber nichts an der prinzipiellen Fähigkeit des WWW, Informationen unabhängig von Ort und Zeit zur Verfügung stellen zu können.] So gesehen sind sie besonders als Massenmedien geeignet. Radio und Fernsehen sind die bedeutsamsten Beispiele aus dem Alltag. An der Spitze der Hierarchie finden wir die elektronischen Medien, die sich durch ihre zunehmende Universalität auszeichnen. Das treffendste Beispiel dafür ist das Internet, das sich von China bis Argentinien, von Südafrika bis Island ausdehnt. In dieser Universalität begründet sein dürften auch die Schwierigkeiten, zu sagen, was aus dem Internet werden soll/wird.

Und noch etwas muß auffallen: Elektronische Medien haben keine `Schwere'. Die Inhalte technischer Medien sind nicht an konkrete Formen gebunden, noch sind es die Formen an konkrete Inhalte. Auch gibt es keinen spezifischen Teilnehmer-/Teilhaberkreis. Von Orten gar nicht zu reden. Zwar gibt es eine -technologische- Hemmschwelle. Aber ist diese erst einmal überschritten, zerfließen fast alle Grenzen. Die zunehmende Verschmelzung der Massenmedien liefert Anschauungsobjekte: Fast jede Zeitung ist im Internet präsent. Radio kann man im Internet hören. Das Internet kann per Fernseher oder Mobiltelefon erreicht werden.

Die fehlende Schwere bringt viele Vorteile mit sich. Sie erleichtert viele Dinge. Allerdings erleichtert sie uns auch um viele Dinge. Oder sie erschwert diese. So ist es eine ungeheure Erleichterung, wenn man jemanden innerhalb von Sekunden oder Minuten weltweit per Email erreichen kann. Da aber eine elektronische Nachricht geschickt wurde, wird es schwer, deren Empfang zu beweisen. Eine elektronische Empfangsbestätigung ist nichts im Vergleich zu einer Papierquittung mit Unterschrift. [Anmerkung: Siehe dazu auch: [Zimmer 1997]]

Benjamin nennt dies den ``Verlust der Aura'' .

Der Umgang mit elektronischen Medien erfordert mithin Substitute für gewohnte Handlungsformen, da gewohnte Handlungen durch neue ersetzt werden. Insofern bringt er sie hervor. Andere, gewohnte Handlungen, fallen weg, mit ihnen ihre Formen. Das gilt prinzipiell für jeden Umbruch, bei dem neue Medien in den Vordergrund rücken. Man denke an den Buchdruck und die Veränderung der Wissensvermittlung, die damit einherging. Allein, der räumliche und zeitliche Wirkungskreis dehnt sich bei elektronischen Medien unvergleichlich stärker aus.

[*] Immanuel Kant: Von dem Raume. In: Kritik der reinen Vernunft.


[4] Nicht selten entstehen dabei Kulte. Oder wie anders sollte man das weltweite Tamagotchi-Phänomen interpretieren. Alle Handlungen bestehen im Knöpfchendrücken. Interpretiert werden sie als Füttern, Streicheln, Spielen, Reinigen, ... Natürlich finden diese Aktionen nicht wirklich statt. Aber sie dienen der Verwirklichung einer Idee, einer Vorstellung, indem wirkliche Handlungen substituiert werden. Ein Vergleich mit kultischen Handlungen liegt da nahe. Der SPIEGEL spricht vom ``globalisierten Gefühlshaushalt'' .

Der SPIEGEL 43/1997, S.152


[5] Die TAZ schrieb neulich über einen Artikel über die Krise der Kirchen in Deutschland ``Das ,,Produkt`` Kirche auf der Suche nach einem neuen Profil. Kundenorientierung erwünscht''.

[Jensen 1997]


[6] Auf der anderen Seite bilden sich Gruppen heraus, die spezifische Ideen kommunizieren, welche ihrem Inhalt nach mit dem gesellschaftlichen Wissen/Glauben nicht in Beziehung gesetzt werden können. Auch solche Ideen sind unproduktiv, weil nicht vermittelbar. Die Teilhaber an solchen Ideen bilden folglich relativ abgeschlossene Gruppen aus, da nur in solchen die Kommunikation ohne Medium weitgehend realisierbar ist. Als Beispiele lassen sich Sekten und auch die Kreise von Wissenschaftlern anführen, die ihre Forschungen einem einzigen, sehr konkreten Thema widmen, zu dessen Verständnis hochspezialisierte Kenntnisse vonnöten sind.
 

[Blum 1997] 

[7] Zitat aus [Schulz 1997]


[8] Niklas Luhmann und Marshall McLuhan haben das z.B. Geld als Medium untersucht.

Geld ermöglicht es, Produktion und Konsumtion strikt zu trennen. Der Trennungsmechanismus ist einfach: Ein Produkt hat einen Wert. Der Produzent wird für das Produkt bezahlt. Der Konsument zahlt für das Produkt. Die Händler nutzen die Distanz und schlagen die Bezahlung ihrer Vermittlungsleistungen auf den Produktpreis auf.

Einige Konsequenzen:
 

An anderer Stelle wird eine solche Filterwirkung durch z.B. den Begriff der `Aufmerksamkeitsschwelle der Medien' impliziert. [Holtz-Bacha 1997]


[9] In der Literatur finden sich z.B. Aussagen, wie diese:

oder [Holtz-Bacha 1997]


[10] Anders ausgedrückt:

[Holtz-Bacha 1997]


[11] Kulturunabhängigkeit soll in diesem Falle nicht bedeuten, daß die Kultur unbeeinflußt bleibt. Sie stellt nur nicht das Subjekt, sondern das Objekt der Veränderungen, nicht die Voraussetzungen, sondern den Gegenstand dar.

Mit dem Wissen darum läßt sich Politik machen:

[Hofmeister 1997]

[Anmerkung: Wilhelm Hofmeister arbeitet für die Konrad-Adenauer-Stiftung im Bereich Internationale Zusammenarbeit.]